Interview mit der Restauratorin Katharina Haider (Bacon Studios)

Katharina Haider ist die erste von vielen InterviewpartnerInnen, die wir in unserer neuen Serie vorstellen wollen. Die vielen verschiedenen AkteurInnen des Kunstmarktes geben uns Einblicke in ihre Arbeit und ihre Begeisterung für die Kunst, um zu zeigen, wie vielfältig und bunt diese Branche ist. 

Die Restauratorin Katharina Haider hat sich mit Bacon Studios ihre ganz eigene Nische im Kunstmarkt geschaffen, in der es ihr an nichts fehlt, wie sie uns im Interview erzählt. 

 

Wie bist Du zur Kunstbranche gekommen?

Aufgrund meiner Vorlieben eigentlich schon als Kind. Ich habe immer gepuzzled und meine Eltern haben mich immer mit Materialien aller Art verwöhnt. Bei uns gab es keine Barbie-Puppen, bei uns gab es Ölfarben, Aquarellfarben, Buntstifte, Vergoldermaterial - immer das volle Programm. Also ich habe immer schon gebastelt und wollte dann eigentlich Künstlerin werden und dann hieß es aber immer “Ach Gott, mach doch lieber was richtiges” und dann wollte ich Archäologin werden, was dann aber noch viel schlimmer war und dann hab ich mir gedacht, ich mach Produktdesign. Aber bei der Aufnahmeprüfung habe ich gesehen, dass mir das nicht technisch genug war und dann hatte meine Mutter tatsächlich die Idee und fragte mich, ob ich Restaurierung kenne und dann war das ein Volltreffer. Mutter sei Dank!

 

Welche Erfahrungen hast Du gemacht im Kunstmarkt?

Ich arbeite ja für sehr viele unterschiedliche Kunden, das sind Museen, das sind teilweise Künstler, Galerien, private Sammlungen daher kann man es eigentlich gar nicht so verallgemeinern. Allerdings kochen alle nur mit Wasser. Jeder versucht irgendwie sein Auskommen zu haben in den letzten Jahren. Das macht sich schon deutlich bemerkbar.

Die Budgets der Museen sind deutlich zurückgegangen. Als ich angefangen habe mit meinem Vorpraktikum in der Neuen Nationalgalerie, da gab es immer wahnsinnig viele mondäne Parties und jetzt hat man Glück, wenn man noch eine trockene Brezel bekommt bei der Eröffnung. Da hat sich einiges geändert.

Trotzdem gibt es sehr viel Leute, die mit so viel Liebe und Herzblut dabei sind. Das sind dann zum Teil auch eher die privaten Sammler. Die Unterschiede in der Qualität sind überall sehr zu finden. 

 

Gibt es Dinge, von denen Du denkst, dass sie im Kunstbereich besser werden sollten?

Ja, ich finde Dokumentation ist ganz wichtig. Ich würde mir wünschen, dass es für jedes Kunstwerk immer ein Dokument gibt, das jedes Mal wenn das Kunstwerk übergeben wird, mitreist. Das kann ein Zustandsprotokoll sein, das kann eine Aufbauanleitung sein, irgendetwas wo immer alle Daten drin stehen und auch vermerkt ist, was an dem Kunstwerk schon gemacht worden ist. Wurde es schon einmal restauriert? Diese Dinge. Das fände ich ganz gut. So eine Art Laufzettel. Gerade als Restauratorin sieht man ja viele Dinge, die anderen Leuten nicht auffallen und dann gibt es so ein großes Fragezeichen und es ist auch ganz nützlich sofort aufzuschreiben, wie die Künstler etwas gemacht haben. Wie ist es gemacht worden?

 

Was können Eure Kunden von Euch erwarten?

Totale Perfektion! Mir ist es ganz wichtig, dass wir unsere Arbeit so gut wie es eben geht machen. Das beinhaltet auch eine sehr professionelle Abwicklung. Das bedeutet, dass wir uns auch Zeit nehmen um mit den Kunden zu sprechen, um auch das, was ich gerade angesprochen habe im Bereich Dokumentation in Erfahrung zu bringen und dann anhand dessen die bestmögliche Entscheidung treffen zu können. So eine Restaurierung wird einerseits geleitet durch die Bedürfnisse des Objekts, aber andererseits auch auf jeden Fall von den Bedürfnissen der Kunden. Museen haben ganz andere Ansprüche als zum Beispiel private Sammler. Museen haben ein konstantes Klima, die haben Aufsichten und haben professionelle Depots, wo eigentlich keiner hinkommt. Da ist es sehr wichtig, dass eine Maßnahme, die man durchführt reversibel bleibt und nur minimalinvasiv ist, also z.B. gerne mal wasserlöslich geklebt wird. Aber wenn ein Objekt bei einer Party bei einem Sammler steht und auch angefasst wird, muss man da einfach andere Maßstäbe auch an die Festigkeit setzen. Das bedeutet auch, dass wir uns immer überlegen müssen, was braucht es in der jeweiligen Ausstellungssituation.

 

… bei den Fotos auf Eurer Website muss man unweigerlich an eine OP-Situation denken.

Ganz genau!
  

Man denkt an Ärzte, die einen Patienten vor sich haben. Siehst Du da einen Zusammenhang?

Total! Mein allererster Praktikumschef, der hat mal was ganz schönes gesagt, das war wirklich so in der ersten Woche: "Behandle ein Kunstwerk wie einen kranken Patienten, nur dass sich dieser Patient nicht einmal wehren kann!” Man muss ganz, ganz behutsam sein. Du hast keine zweite Chance, da wächst nichts nach, da heilt nichts. Man arbeitet darum minimal invasiv. Wir haben ein Mikroskop im Atelier, was wir viel benutzen und wir arbeiten mit ganz kleinen, feinen Sonden. Manchmal sind das ja Fliegenschisse, die wir behandeln müssen in einer ganz homogenen Farbfläche, das heißt dann auch, dass wir uns die Werkzeuge immer kleiner und nochmal kleiner schneiden. Wir haben dünne Zahnarztbohrer oder kleine Pinzetten mit Schleifpads da ran. Medizinbedarf ist eine ewige Fundgrube! Das ist so toll. Ich schiele schon immer bei meinem Zahnarzt oder auch bei Dermatologen auf deren tolle Werkzeuge, etwa zur Oberflächenbearbeitung oder auch chirurgisches Nahtmaterial, womit man Risse an Gemälden vernäht.

 

Welche Beziehung habt ihr zu den Werken?

Eine die wächst. Es ist mir ganz oft passiert, dass ich ein Kunstwerk auf den ersten Blick nicht so richtig ansprechend fand und wenn man dann aber noch mehr recherchiert und den Entstehungsprozess anhand der Werkspuren nachvollziehen kann, kommt man dem Objekt immer näher. Oft muss man Oberflächen kitten und fährt ganz oft mit der Hand drüber und hält die Werke im Arm und streichelt drüber und fühlt nochmal nach. Das sind teilweise schon fast erotische Beziehungen, wenn man da eine Oberfläche so lange liebkost.

 

Wie groß ist eigentlich Euer Team?

Sehr unterschiedlich. Ich habe jetzt ein kleineres Team hier in Berlin, weil ich in München ein zweites Atelier aufgemacht habe. Zum Jahresbeginn werde ich in Ingolstadt an einem Großprojekt arbeiten und da sind wir 4-6 Leute. Nach dem Projekt in Ingolstadt werde ich auch in Berlin mein Team wieder vergrößern. Ich habe einen Pool an Freelancern auf die ich zurückgreifen kann.

 

Mir scheint, dass Ihr Euch in der Nische Restauration nochmal eine spezielle Nische ausgesucht habt. Hast Du den Eindruck, dass sich die Materialien, mit denen Ihr arbeitet in der Zeit, in der Du das jetzt machst nochmal verändert haben?

Angefangen habe ich ja 2001 und seit dem ist die Forschung nochmal viel besser geworden. Die Erprobung von Materialien, mit denen man arbeitet einerseits und andererseits die Erforschung von den neueren Kunststoffen, die in der Nachkriegskunst verwendet werden ist auch nochmal um ein sehr großes Stück weiter gekommen. Mittlerweile versteht man besser, welche Ursachen für Zerfallserscheinungen an den unterschiedlichen Kunststoffen verantwortlich sind. Kunststoffe werden auch oft fälschlicherweise unter dem Bereich ‘Plastik ist Kunststoff’ zusammengefasst. Aber Kunststoffe unterscheiden sich himmelweit, sowohl was den chemischen Aufbau anbelangt, als auch was Alterungserscheinungen betrifft. Aber auch die Ursachen für Abbauprozesse: manche Kunstwerke sind sehr UV-empfindlich, andere sehr feuchtigkeitsempfindlich.  

Als ich angefangen habe, gab es mal hier und da ein Seminar und es ist immer noch so, dass sich viele Restauratoren nicht an Kunststoffe rantrauen, weil sie so speziell sind und wo man schon auch viel wissen muss, um entscheiden zu können: um welchen Kunststoff handelt es sich denn jetzt hier? Müssen wir eine teure Analyse machen oder kann man so wie ich in vielen Fällen auch einen sehr “educated guess” abgeben durch anfassen, knistern, dran riechen, Verarbeitungsspuren etc. um zu sehen, worum es sich denn handelt.  

Ich bin ja die Einzige, die diese doppelte Qualifikation hat, sowohl Restaurierung als Diplom, als dann auch einen Master in Kunststoffwissenschaft. Ich bilde mich auch laufend fort, was technische Innovationen angeht. Zum Beispiel ist Ecoplastic ein großes Thema. Da entwickelt sich laufend etwas neues, was KünstlerInnen direkt verwenden und man muss auch gucken, dass man als Restauratorin damit Schritt hält. Es ist nie statisch.

 

… mir erschien sehr interessant, was Du über den “educated guess” sagst. Ich musste daran denken, dass ja manche Leute sagen, dass es Ihnen viel mehr sagt, einen Kleidungsstoff einmal anzufassen als aufs Etikett und die Zusammensetzung der Materialien zu schauen ...

Total! Einfaches Beispiel für Materialien sind Plastiktüten. Es gibt zwei unterschiedliche Typen von Plastiktüten und das kann man auch hören. Das eine sind diese Gemüsetüten im Supermarkt die knistern so ganz hell. Kaufhaustüten haben eher so ein sonoreres Rascheln und sie haben auch mehr Grip. Das eine ist der eine Polyethylen-Typ und das andere der andere. Oder PVC: jeder weiß wie Schwimmflügel riechen. Das sind sehr charakteristische Materialien. Oder bei den Kunstharzen die Polyesterharze, die haben auch einen besonderen Duft. 

Ich lese auch gerne mal in der Bibliothek in Produktkäseblättchen aus den 60er Jahren, wo es dann etwas ankündigt: “Wir haben jetzt hier ein neues Verfahren, mit dem man zwei Kunststoffe in einem Arbeitschritt verarbeiten kann.” 
 

Ihr arbeitet ja mit ziemlich großen Namen. Erhöht das manchmal den Druck oder behandelt ihr jedes Werk ganz individuell? 

Man vergisst, wen man hier gerade vor sich hat, weil man sich auf das Material konzentriert und da ist es eigentlich egal welcher Name da drüber steht. Es ist gar nicht gut, wenn man so nervös ist, da lässt man viel eher was fallen.

 

… da sind wir dann in gewisser Weise schon wieder zurück am OP-Tisch, oder? Es ist in dem Moment dann irgendwie egal und demokratisch, richtig? 

Genau!

 

Auf Euren Fotos seht Ihr sehr hingebungsvoll aus und man vermutet eine ruhige Arbeitsatmosphäre. Wird es trotzdem auch schon mal stressig bei Euch?

Es kommt wirklich alles vor. Manchmal werde ich von Galerien angerufen, die sagen wir haben heute Abend um 18 Uhr Eröffnung und haben gerade einen Schaden. Kannst Du kommen? Dann raff ich alles zusammen und dann weiß ich, ich hab jetzt genau drei Stunden und muss so und so viele Quadratzentimeter bearbeitet haben, wie gehe ich vor, um das zu schaffen? Dann gibt es auch keine Pausen und ich restauriere im Laufschritt. Das kommt wirklich so vor und dann hat man aber auch wieder Rissvernähungen wo man 40 Stunden an dem OP-Tisch sitzt und durchs Mikroskop schaut und nur die Filet-Stückchen seiner Zeit verwendet, um maximal frisch und konzentriert zu sein.  

Und hingebungsvoll muss man bei so einem Beruf auch wirklich sein. Man wird nicht zufällig oder aus Versehen Restauratorin, das erfolgt absolut vorsätzlich.

 

Du sagtest eingangs, dass Du zunächst daran gedacht hattest selbst Künstlerin zu werden, daher jetzt die Frage: wird es nicht auch manchmal langweilig immer an Schäden arbeiten zu müssen? 

Nein! Gar nicht. Je schlimmer der Schaden, desto größer die Herausforderung und das ganz tolle an der zeitgenössischen Kunst ist ja, dass alle Materialien vorkommen können, die Palette wächst immer weiter, die Techniken wachsen immer weiter und jedes Kunstwerk ist so individuell, dass Du Dir immer was neues ausdenken musst. Selbst wenn Du zweimal mehr oder weniger die gleiche Verarbeitung hast, dann hast Du bei dem einen, was Teil einer Performance war noch - sagen wir mal Lebensmittelreste da dran oder irgendwelche Kratz- und Schleifspuren oder Farbspritzer und dann musst Du Dir eben immer genau etwas für diesen einen Patienten überlegen. Das andere kommt vielleicht in einem ganz anderen Kontext. Es gibt nicht die Standardrestaurierung und es gibt auch keine grundsätzlich richtige Restaurierung für ein Objekt, die Objektgeschichte spielt da mit kein.
 

Bist Du dennoch manchmal durch Deine Arbeit wieder inspiriert eigene Sachen zu machen und machst Du das sogar oder ist der Wunsch durch Deine Arbeit schon erfüllt?

Das ist komplett erfüllend. Wenn es sehr schwierige Eingriffe sind, etwa an Objekten mit einer ganz komplexen Geometrie oder Schichtung, baue ich mir oft Dummies, um besser zu verstehen, wie der Künstler hier vorgegangen ist und wieso etwas so aussieht, wie es aussieht. Sachen nachzubauen ist ja auch irgendwie ein kreativer Akt. Materialien anzurühren, Dinge zurecht zuschneiden. Ich brauche da nicht mehr. Ob man seine eigenen Produkte jetzt als Kunst wahrnimmt, ist ja auch eigentlich eine Definitionssache. Ich definiere mich als Restauratorin und kann mich da auf der ganzen Palette austoben und ansonsten, wenn es mir immer noch nicht reicht, kann ich meine Weihnachtspost sowas von bunt machen, wie es mir gerade passt. Mir fehlt es an nichts!

 

Gibt es etwas, das Du ganz schrecklich findest am Kunstmarkt?

Ja, so ein gewisser Dünkel. Dass die Leute, glaub ich, sehr darauf achten und ein geschultes Auge haben, um zu sehen wer ist Sammler, wer ist Publikum. Dass man da sehr schnell in eine visuelle Schublade gesteckt wird. Ich würde mir da manchmal mehr Offenheit wünschen. Es gibt auch sehr viele junge Menschen im Kunstmarkt, die vielleicht wahnsinnig froh sind, dass sie ihr erstes Praktikum bei einer tollen Galerie bekommen haben und einem mit sehr viel Selbstbewusstsein begegnen.
Auch teilweise so eine gewisse Oberflächlichkeit, die natürlich auch mit der Kunst und dem Visuellen unzertrennlich verknüpft ist. Ich finde es schöner, wenn man auf Leute trifft, die etwas mehr Tiefgang haben und Leidenschaft für das, was sie machen.

 

Um nun wieder die Kurve zu kriegen und das Interview möglichst positiv zu beenden, möchte ich Dich abschließend fragen was liebst Du besonders am Kunstmarkt und wie sieht Deine Vision für die Zukunft aus - ruhig persönlich und allgemein? 

Ich liebe es am Kunstmarkt, dass man so viele unterschiedliche, ganz tolle, querdenkende Leute trifft. Gerade auch Künstler, die mit einem sehr klaren Blick Missstände erkennen und auf eine sehr ironische Art und Weise thematisieren. Und auch wie viel Expertise bei jedem einzelnen Künstler vorhanden ist zu deren eigener Technik. Die guten Künstler die machen Tests, recherchieren, fordern Mustermaterialien an. Dass es so gar nicht beliebig ist, in der Kunstproduktion, das find ich ganz toll.

Eine Vision wäre, dass Künstlerinnen mehr Möglichkeiten an die Hand gegeben werden, um ihre Materialien auszusuchen. Leider ist es in den letzten Jahren so, dass Maltechnik in der Ausbildung an Bedeutung verliert, dass z.B. auch Professuren für Maltechniken immer weiter schrumpfen oder nicht neu besetzt werden. Es ist aber allerhöchste Zeit, Maltechnik auch anders zu denken, weil es wird eben immer mehr nicht mit Ölfarbe und Kreidegrund gearbeitet, sondern mit neuen Materialien. Da wäre es wichtig, dass die Künstler wissen, was sie da haben und wie sie es verarbeiten können. So dass dann auch die Langlebigkeit der Objekte sichergestellt werden kann, schon von der Produktion oder wenn man ein vergängliches Material verwendet, dass man es dann wissentlich tut. Das wäre so eine Vision, ansonsten gibt es noch so viele kleine Visionen und der Kunstmarkt ist ja so divers. Das ist aus meiner kleinen Nische eine Vision.

 

Wir bedanken uns ganz herzlich für das Gespräch mit Katharina Haider von Bacon Studios